Kinaesthetics ist in der Pflege Ostsachsens ein noch häufig unbeschriebenes Blatt. Seit dem Frühsommer 2015 trifft dies auf die Oberlausitz und Westlausitz Pflegeheim und Kurzzeitpflege gGmbH jedoch nicht mehr zu. Zusammen mit dem jungen Familienunternehmen bima – Bildung & Management starten sie ein Gesundheitsprojekt, bei dem mehr als 500 Mitarbeiter der Pflege in neun Einrichtungen, durch ein ausgewähltes Trainerteam kinaesthetisches Handeln erfahren, reflektieren und fallsituativ wirksam werden lassen.

 

„Als im Sommer 2015 die Anfrage von Henriette Hauerstein kam, ob ich mir eine Unterstützung des Anliegens, Kinaesthetics in eine große Einrichtung in der Oberlausitz einzuführen, vorstellen kann, war ich zunächst aufgeschlossen, [aber] skeptisch. Nach 17 Jahren eigener Pflegeerfahrung fand ich das Anliegen, Gesundheitsentwicklung für Pflegekräfte und Bewohner zu ermöglichen, einfach toll. Doch der Umfang der Herausforderung nötigte mir Respekt ab“, erinnert sich Kinaesthetics-Trainerin Sylvia Jaster.

Konzipiert und organisiert wird das Projekt vollumfänglich durch bima. Das externe Kinaesthetics-Trainerteam schult alle Mitarbeiter in Grund-, Aufbau- sowie Peer-Tutoren-Kursen Auch die Führungskräfte sitzen mit im Boot, während bima das Gesundheitsprojekt souverän managt und unterstützend begleitet. Es entsteht ein wirkungsvolles Zusammenspiel, zwischen den Organisationsverantwortlichen, den Mitarbeitern der Pflegeeinrichtungen und dem Kinaesthetics-Trainerteam.

„Von Beginn an hatte bima stets spürbare Empathie für alle Beteiligten, einen realistischen Sinn für das Machbare, [das] Gewollte und die Methoden, [um] alle bei der Stange zu halten. Neben aller Fachkompetenz und Wirksamkeit ist dieser menschliche Aspekt für mich ein wesentlicher Baustein für Gelingen und Nachhaltigkeit an diesem Projekt. Wenn die ‚Chemie’ stimmt, ist alles möglich“, sagt Sylvia Jaster überzeugt.

 

 

Das Kinaesthetics-Projekt auf einen Blick

Frühsommer 2015 Das Konzeptschmieden beginnt, das Netzwerken läuft auf Hochtouren und genau die richtigen Kinaesthetics-Experten werden ins Boot geholt: Sylvia Jaster, Andrea Woydack, Stefanie Müller, Regina Spielberg-Oertwig, und Markus Beier. Außerdem gaben ganz am Anfang Kinaesthetics- Trainerin Eike Rachlitz und Krankenpflegelehrerin Erdmute Simmchen erfolgversprechende Gewichte in die Waagschale.
Spätsommer 2015 Das Gesundheitsprojekt „Kinaesthetics in der Pflege“ steht. Die Führungskräfte erhalten in einer Kick-off Veranstaltung Basisinformationen zum Projektablauf. Aus unterschiedlichen Perspektiven werden Ziele beleuchtet und Verantwortlichkeiten sichtbar gemacht. Die Führungsmannschaft ist mit an Bord.
November 2015 Der erste Grundkurs startet mit hochmotivierten Teilnehmern im Seniorenwohnhaus „Am Belmsdorfer Berg“ in Bischofswerda. Sylvia Jaster übernimmt als Erste den Staffelstab als Kinaesthetics-Trainerin.
Januar bis Dezember 2016 Es werden insgesamt 13 Grundkurse für die Pflegenden der Oberlausitz- Pflegeheime und vier Grundkurse für die Westlausitz- Pflegeheime durchgeführt. Auch der erste Aufbaukurs ist bereits erfolgreich über die Bühne gegangen. Begleitend nutzen die Mitarbeiter zentrale Praxistage, die von den Kinaesthetics-Trainerinnen gestaltet werden.
Sommer 2016 Am 24. August 2016 findet in Bischofswerda und Pulsnitz der erste Kinaesthetics-Fachtag statt. Erste Erfolge werden zusammen mit den Trainern reflektiert. Insgesamt 50 Mitarbeiter und Führungskräfte tauschen ihre Erfahrungen miteinander aus und betrachten den Stand des Projekts.
Januar bis November 2017 Weitere neun Grundkurse und zwei Aufbaukurse folgen. Inzwischen erweiterten ca. 400 Kursteilnehmer ihre Bewegungskompetenz. Weg vom starren Arbeiten nach festgelegten Richtlinien, hin zum fallsituativen Handeln mit weniger körperlicher Anstrengung, weniger heben, weniger tragen und weniger zerren. Die Pflegenden geben nun den Klienten mehr Anleitung, achten aufmerksamer auf sich selbst sowie den Bewohner und etablieren erfolgreich eine neue Haltung zum Bewegen. Sie staunen über das, was sie bereits verändern konnten und sind mit Recht stolz auf den Fortschritt. Dezentrale Praxistage sichern als Ergänzung eine noch hochwertigere Theorie-Praxis-Verzahnung.  
März bis November 2017 Die Peer-Tutoren-Ausbildung mit Regina Spielberg-Oertwig findet am 24.11.2017 ihren erfolgreichen Abschluss. Die 15 frischgebackenen Peer-Tutoren zeigen was sie können und alle Anwesenden sind begeistert. Die Erreichung dieses Meilensteins sichert eine hohe Praxiswirksamkeit.
Das Jahr 2018 Phase zwei des Projekts geht in die Startlöcher. Weitere Grundkurse laufen bereits, mehr dezentrale Praxistage für Grundkursteilnehmer sind fest geplant. Reflexionstage für Aufbaukursteilnehmer und Peer-Tutoren stehen auf der Agenda. Unter dem Motto: „Kinaesthetics nicht zur Eintagsfliege werden lassen“ setzen sich die Führungskräfte in Workshops mit ihrem „ganz speziellen Führungsrollenhut“ auseinander.

 

Erste Erfolge und Herausforderungen

Mehr als über 100.000 € investiert die Oberlausitz und Westlausitz gGmbH für das Kinaesthetics-Projekt in die Fortbildung ihrer Mitarbeiter. Die bisherigen Erfolge in den Einrichtungen, sowie die Rückmeldungen der Mitarbeiter bestätigen den positiven Einfluss von Kinaesthetics auf den Arbeitsalltag in Pflegeheimen. Ein Umdenken hat bereits begonnen und die Pflegenden spüren eine deutliche Erleichterung beim Mobilisieren der Bewohner.

Hilfsmittel, wie beispielsweise das Rutschbrett oder die Gleitmatte, werden vermehrt eingesetzt und die Bewohner bekommen so die Gelegenheit, ihre noch vorhandenen Potenziale besser auszuschöpfen.  Es gibt sogar bereits einzelne Bewohner, die aktiv mehr Selbstständigkeit bei den Mitarbeitern einfordern. Das Selbstwertgefühl steigert sich, psychische und physische Belastungssituationen werden reduziert. Sowohl die Mitarbeiter, als auch die Bewohner sind zufriedener und glücklicher als vor dem Projektstart.

„Eine Kursteilnehmerin antwortete auf die Frage, was ihr Ziel für den Grundkurs wäre, sie wolle ‚zaubern’ lernen. In der Abschlussrunde des Kurses kam sie auf ihren Wunsch zurück und resümierte, dass sie [tatsächlich] ein bisschen zaubern gelernt habe“, berichtet Sylvia Jaster schmunzelnd.

Die Oberlausitz und Westlausitz gGmbH hat erkannt, dass Kinaesthetics nur funktionieren kann, wenn alle an einem Strang ziehen und hinter dem Konzept stehen. Sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte sehen sich in der Verantwortung, Kinaesthetics nicht zur Eintagsfliege werden zu lassen und begegnen ihren Herausforderungen konstruktiv. Um Kinaesthetics zum Beispiel bei Bewohnern mit Behinderungen, dementiell erkrankten, sowie adipösen Bewohnern erfolgreich einsetzen zu können, müssen erst noch weitere Erfahrungen gesammelt und Arbeitsroutinen ausgebildet werden.

Neues umzusetzen, alte Handlungsmuster abzustellen und Individualitäten gerecht zu werden, kostet am Anfang Zeit und Kraft. Der Grundstein für die Etablierung einer vollumfänglichen Kinaesthetics-Kultur in den Pflege- einrichtungen ist gelegt. Die meisten Mitarbeiter sind bereits jetzt schon davon überzeugt, dass bei dauerhafter Anwendung und viel Übung von Kinaesthetics im pflegerischen Kontext mit der verfügbaren Zeit optimaler umgegangen werden kann. Natürlich ist ihnen aber auch klar, dass sie Kinaesthetics nun konsequent trainieren und anwenden müssen, damit sich auch langfristig weiterhin Erfolge einstellen.

„Als großen Vorteil dieses Großprojektes sehe ich die zeitliche Dimension, in der sich die Wirkung von Kinaesthetics entwickeln kann. Es gibt dadurch viele Möglichkeiten der Anpassungen, Zwischenevaluationen und vor allem eine große Vielfalt, die bereichert. Gleichzeitig entstehen durch die Kontinuität positive Muster und Beziehungsgeflechte“, fasst Kinaesthetics-Trainerin Andrea Woydack zusammen.

 

Der Weg für die Zukunft mit Kinaesthetics

Damit die Lernerfolge der Grundkurse noch besser für die Praxis genutzt werden können, soll in Zukunft das Thema Kinaesthetics auch in Dienstberatungen platziert werden. Fallbesprechungen, Praxistage, sowie Aufbaukurse und die Peer-Tutoren-Ausbildung, sind weitere strukturgebende und inhaltliche Elemente für die Nachhaltigkeit des Projekts. In Zukunft sollen immer mehr Mitarbeiter Kinaesthetics verinnerlichen und ihre Bewegungskompetenzen optimieren lernen.

„Die TeilnehmerInnen, in den von mir begleiteten Kursen, waren alle sehr motiviert. Diese Motivation muss ‚am Leben erhalten’ bleiben“, berichtet Kinaesthetics-Trainerin Regina Spielberg-Oertwig. „Viele Schritte sind getan und nun geht es um die Nachhaltigkeit. Pflegerisches Handeln, Gewohnheiten [und] festgelegte Standards müssen immer wieder hinterfragt werden.

Verhaltensänderungen geschehen nur langsam und sind als Prozess zu verstehen, der begleitet werden muss. Dies bedarf einer kontinuierlichen Arbeit aller, die an der Betreuung und Pflege [von Bewohnern] beteiligt sind: Führungskräfte, sowohl examinierte als auch nicht examinierte Pflegekräfte und Alltagsbetreuer“, betont Spielberg-Oertwig.

Ein stattlicher Baum braucht Zeit und ganz am Anfang genau die richtige Pflege, damit er gedeiht. Alle Beteiligten des Kinaesthetics-Projekts wollen dranbleiben, damit die Bildungsinvestition noch viele Jahre lang reife Früchte tragen kann. bima – Bildung & Management Inhaberin Henriette Hauerstein ist sich sicher: „Die Oberlausitz und Westlausitz gGmbH wird eine Punktlandung mit dem Projekt machen und Kinaesthetics fest in den Pflegealltag implementieren.“